Der Architekt, der zum Mediakünstler wurde
Seine Abschlussarbeit ist es, die dem Kufsteiner Oliver Irschitz eine Parallelwelt entdeckt lässt. Angezogen von den unendlichen Möglichkeiten der virtuellen Welt wird er zum Quer- und Vordenker, der die Schnittstelle zwischen realer und virtueller Welt als seine neue Heimat auswählt. Lange vor Apple benutzt er das „i“; für seinen iTube, die iWall oder auch den iTable. Er taucht in die virtuelle Welt ab, als noch kaum jemand dort ist, lässt sich auch von einem Konkurs nicht aufhalten. Ein Leben in der Zukunft.
Die Kanten der rechteckigen Röhre sind abgerundet. Drei ineinander verschachtelte Teile, die wie ein Fernrohr auseinandergezogen werden können. Von außen lässt die Röhre nicht im entferntesten erahnen, was einem im Inneren erwartet. Ein Schritt in eine andere Welt, in die interaktive Multimediaröhre. Der iTube. Das Herzstück des iTubes ist der iFrame. Ein Lichtvorhang, der Handbewegungen in der Luft erkennt. Heute Standard. Damals als der Kufsteiner Oliver Irschitz 1999 den iFrame entwickelt eine Neuheit. „Die Idee war, den iTube für Roadshows und mobile Präsentationen einzusetzen“, erklärt Irschitz. Die Euphorie ist groß, vorerst.
Utopia
Begonnen hat alles 1997. Oliver Irschitz ist am Ende seines Architekturstudiums, plant seine Diplomarbeit. „Ich wollte einen Katamaran entwerfen oder eine virtuelle Welt, das hat es damals nur rudimentär gegeben.“ Sein Professor rät ihm zur virtuellen Welt. Irschitzs Eintritt in ein Paralleluniversum. Das Reich der Virtualität. Er ist fasziniert, so sehr, dass er die klassische Architektur ad acta legt. In seiner Diplomarbeit entwirft er Utopia, eine virtuelle Stadt, eine spielerische Infoplattform. Er nimmt Dinge vorweg, die heute Standard sind. Eine Tatsache die sich fortsetzt. Irschitz ist der Zeit immer ein paar Schritte voraus.
„Du darfst nichts Anderes im Kopf haben,
dann wirst du dein Ziel
auch eines Tages erreichen“
Sechs Tonnen Virtualität
„Es hat mich fasziniert“, beschreibt Irschitz den Augenblick, als er in den USA kurz nach seinem Studienabschluss einen Laser sieht, der die Bewegung von Händen in der Luft erkennt. Ein Prototyp vom renommierten MIT. „Ich wollte ihn unbedingt haben, konnte ihn mir aber unmöglich leisten. Also habe ich beschlossen, etwas ähnliches selbst zu entwickeln.“ Er hat die Idee, das Konzept, kümmert sich um die Finanzierung. Die Entwicklung der Hardware übernehmen Spezialunternehmen. Die Multimediaröhre, der iTube, entsteht. Sechs Tonnen schwer. „Es war beeindruckend“, erzählt Irschitz, um lachend hinzuzufügen „Auch für mich.“ Befreundete Medienkünstler bauen virtuelle Welten, die sie im iTube zeigen. „Wir haben Aufmerksamkeit erregt. Jeder sagte, dass der iTube genial ist, jeder wollte ihn haben, aber er war zu groß, zu unflexibel. Ich habe bemerkt, dass damit kein Geld zu verdienen ist.“ Seine Reaktion: er kreiert mehr.
Die "i" vermehren sich
Irschitz entwickelt den iTable, einen interaktiven Tisch. „Der Lichtvorhang hat uns ermöglicht, Flächen von bis zu 8x2 Metern in einen Touchscreen umzuwandeln oder in einem Abstand zum Bildschirm frei mit den Händen in der Luft zu navigieren. Bei uns war Realität, was in dem Film Minority Report zu der Zeit als Fiktion gezeigt wurde.“ Zeitgleich präsentiert Apple iTunes. „Es hat mich amüsiert, dass ich die gleiche Namensidee mit dem ´i´ hatte wie ein so großes Unternehmen, nur Jahre früher.“ Ein Problem hat der Vordenker nicht damit – weder damals noch heute. Oliver ist in dieser Zeit zudem mit etwas ganz anderem beschäftigt. Geld auftreiben.
Die Türme fallen, die Blase platzt
Oliver Irschitz organisiert Förderungen für neue Projekte, setzt auf Venture Capital, kann zwei Fonds begeistern. Es ist das Jahr 2001. Das Jahr, in dem Irschitz den Durchbruch schaffen will. Er arbeitet mit dem erhaltenen Geld bis es aufgebraucht ist. Die New Economy Blase ist geplatzt. Die Türme in Amerika fallen. „Zu den äußeren widrigen Umständen kam, dass mein Unternehmen inzwischen 13 Gesellschafter hatte. Viele wollten verdienen, wenige etwas dafür tun. Und dann war ich pleite.“
Harte Landung als Startbasis
„Mir wurde klar, dass mein Unternehmen ein aufgeblasenes Vehikel war, das konnte nicht funktionieren. Es war eine harte Zeit.“ Irschitz kehrt nach Kufstein zurück, startet mit Hilfe seiner Eltern wieder durch. Allein. „Ich bin zwar wirtschaftlich gescheitert, aber nie inhaltlich, das hat mich bestätigt.“ Er entwickelt seine Produkte neu. Vermietet und verkauft die Prototypen. Das Time Magazin nominiert den iTube im Jahr seines Konkurses als Innovation des Jahres vor. Weitere Auszeichnungen folgen. Es geht nach oben. „Ich war damals weltweit der einzige, der eine solche Hardware hatte.“
„Aus den Möglichkeiten,
die diese zusätzliche Ebene zur Realität bringen könnte,
sind Informationssauger geworden,
um im Hintergrund
Informationen abzusaugen.“
Die Sache mit den Prototypen
2005 wird mit seinem iFrame die Zukunft am Ground Zero in NYC sichtbar. 2010 ist er es, der die interaktive Ausstellung des Österreichpavillions auf der Expo in Shanghai gestaltet. Er wird dafür mit dem Staatspreis für Multimedia ausgezeichnet. Unzählige Entwicklungen folgen, doch in die Serienproduktion kommt Irschitz nicht. „Mir ist das nächste Projekt immer wichtiger, als aus dem aktuellen Profit zu schlagen. Ich will Prototypen entwickeln, Lösungen schaffen. Wenn etwas funktioniert, ist es für mich nicht mehr so spannend.“ Dass die Industrie das, was er sich ausdenkt, Jahre später auf den Markt bringt, sieht er als Bestätigung seines Vordenkertums. „Der einzige Wermutstropfen ist, dass andere damit das große Geld verdienen“, fügt er lachend hinzu. Der Drang des Tuns treibt ihn an. „Du darfst nichts anderes im Kopf habe, dann wirst du dein Ziel auch eines Tages erreichen.“
Strom aus
Oliver Irschitz wirkt nachdenklich bei der Frage nach seinen aktuellen Projekten. „Der Trend rund um interaktive Ausstellungen ebbt ab. Das aha-Erlebnis ist nicht mehr so groß.“ Doch das ist es nicht, was ihn nachdenklich stimmt. In der Art wie die Virtualität zum Alltag geworden ist, fühlt er sich dort nicht mehr so ganz zu Hause. Dass es im virtuellen Raum immer mehr um Macht und Geld geht, lässt Irschitz umdenken. „Meine einstige Vision der Virtualtität ging in eine andere Richtung. Aus den Möglichkeiten, die diese zusätzliche Ebene zur Realität bringen könnte, sind Informationssauger geworden. Die Anwender werden geködert, um im Hintergrund Informationen abzusaugen.“ Irschitz ist in seiner Philosophie kritischer und selektiver geworden, versucht die Dinge anders anzugehen. „Ich verdiene nach wie vor den Großteil meines Geldes durch virtuelle Projekte, möchte aber den Fokus mehr in Richtung der realen, physischen Projekte lenken bzw. auf die Verbindung von realen und virtuellen Disziplinen.“ Für die saudische Botschaft hat er etwa einen Messestand für die Buchmesse in Wien entwickelt und umgesetzt. Er arbeitet wieder mehr mit der Materie, experimentiert mit Naturprojektionen, der Sonne, dem Wind. Interaktive Systeme ganz ohne Elektronik, „weil es mich etwas frustriert, dass meine Arbeit nicht mehr funktioniert, sobald der Strom weg ist. Ich ergänze mein Portfolio um die analogen Entwicklungen basierend auf den Hightech-Ideen von früher. Mir ist bewusst geworden, dass die Virtualität nicht die alleinige Lösung ist.“
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY
Text: Adriane Gamper
erschienen in: kufsteinerin - das Magazin
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