Waltraud Brunner verwandelt das Stripsenjochhaus zum Krimischauplatz
Der Tote liegt in der Gondel, das ist schon einmal fix. Sie geht allein. Rechts und links die Bergwände. Immer wieder kommt ihr in den Sinn, dass es eigentlich eine Schnapsidee ist. Außer Vogelgezwitscher ist nichts zu hören. Idyllische Ruhe. Nur nicht in ihrem Kopf. Nie hätte sie sich das gedacht, als sie heute im Stripsenjochhaus zugekehrt ist. Ihre Gedanken fahren Achterbahn. Noch heute schüttelt Waltraud Brunner belustigt den Kopf, wenn sie an diesen Tag denkt. „Ich bin den Weg vom Stripsenjochhaus ins Tal gegangen, 600 Höhenmeter. Als ich unten ankam, war das Konstrukt zu meinem Krimi fertig und Schuld an allem ist eigentlich der Bruder das damaligen Wirtes.“
Barraquito für den Anfangsmenschen
Am Tisch steht ein Barraquito. Kondensmilch, ein Schuss Likör, Espresso, Limettenschale, aufgeschäumte Milch und eine Prise Zimt. Ihre Hommage an La Palma, wo sie gerne wandernd unterwegs ist. Die Berge sind ihr Leben. „Ich brauche die Gebirge, das liegt vermutlich an den ersten Jahren meines Lebens.“ Waltraud wächst in Bad Hofgastein auf. Am Berg. Auf 900 Metern. Erst als sie sieben Jahre alt ist, zieht ihre Familie ins Tal. Sie verliert das Leben in der Höhe, aber gewinnt eine andere Leidenschaft. Sie beginnt zu schreiben. „Auf einer richtig alten Schreibmaschine“, lacht Waltraud. Erst sind es nur kurze Texte. Seit sie achtzehn ist, sind aus den kurzen Geschichten aber ganze Bücher geworden, die in ihrem Kopf herumspuken. „Meistens zwei auf einmal.“ Nur eines schafft sie nie. Ein Buch fertig zu stellen. „Vielleicht, weil ich ein Märzkind bin. Widderanfang, Frühlingsanfang. Ich bin ein Anfangsmensch.“ Aber gerade eines ihrer unfertigen Bücher, bringt sie letztlich dort oben auf der Stripsenjochhütte zu ihrem Krimi.
„Man sollte mutiger sein, einfach etwas machen, nicht lange darüber nachdenken oder sagen, das kann ich nicht “
Der Satz
„Ich kann mich noch genau erinnern als ich zum ersten Mal dort oben stand. Du stehst im Joch zwischen Zahmen und Wilden Kaiser. Vor und hinter dir ist der Blick frei, neben dir die Felswände. Du bist nicht ganz oben und nicht ganz unten. Du stehst beim Stripsenjochhaus irgendwie zwischen den Welten.“ Durch ihren Mann, der ehrenamtlich bei der Bergrettung tätig ist, kommt sie oft in die Bergrettungshütte nahe dem Stripsenjoch. Das Stripsenjochhaus wir zu ihrer Stammkneipe. Auch damals im Frühling ist sie dort auf einen Ratscher. Im Gepäck ihren halbfertigen Liebesroman. „Ich wusste nicht, wie weiter schreiben und habe einen Probeleser gesucht.“ Die Wahl fällt auf die Freundin des Hüttenwirtes. Doch gerade als sie ihr den Text geben will, kommt der Bruder des damaligen Wirtes um die Ecke, bietet sich als Probeleser an, bis er erfährt, dass es um einen Liebesroman geht. Ganz trocken habe er ihr erklärt, dass er keine Liebesgeschichten lese. „Ich mag Krimis.“ Als ihm Waltraud antwortet, dass sie keinen Krimi hat, schaut er sie nur an und sagt einen einzigen Satz, der alles verändern sollte. „Dann schreib halt einen.“
Der Tod des Liebesromans
Der Satz geht auf wie ein Samenkorn. Auf dem Weg ins Tal entsteht der Krimi in ihrem Kopf, lässt ihr keine Ruhe mehr. Ein Krimi mit dem Stripsenjochhaus als Schauplatz. Ein Toter, der am frühen Morgen in der Gondel der Materialseilbahn liegt und das Leben von Franz, dem Hüttenwirt und der gesamten Hüttencrew ordentlich durcheinander wirbelt. Am 7. Juli 2013 gibt sie dem Krimi, der in ihrem Kopf herumgeistert nach, legt ihren unvollendeten Liebesroman auf die Seite, setzt sich an ihren kleinen, grünen Laptop, beginnt zu schreiben. „Ich habe mir gedacht, wenn mir diese Geschichte keine Ruhe lässt und einfach so beim Runtergehen von der Stripsenjochhütte entstanden ist, dann ist das wohl ein Zeichen.“ Sie schreibt, meist in der Bergrettungshütte oder am liebsten direkt im Stripsenjochhaus. Als sie zu ihren Eltern auf Urlaub fährt, sind die ersten Seiten im Gepäck. Ihr Bruder liest sie. „Und dann hat er plötzlich gesagt: ´wo ist der Rest, die anderen warten schon´.“ Die anderen waren seine Freunde. Er hatte die Seiten weitergegeben. Waltraud hatte Leser, bevor sie das Buch zu Ende geschrieben hatte. „In dem Moment wusste ich, dass ich dieses Buch beende.“ Vor allem weil noch ganz andere auf weitere Buchseiten hofften.
Nachschub
„Wenn ich zur Hütte hinauf bin, haben die Hüttenleute schon immer alle gewartet.“ Weniger auf sie als vielmehr auf ihr Gepäck, die nächsten Seiten des Krimis. Denn nicht nur der Schauplatz ist real, auch die Figuren vom Hüttenwirt bis zum Kellner haben einen zum Teil sehr realen Hintergrund. „Der Kellner hat schon einmal etwas entrüstet zu mir gesagt ´ich bin aber kein Frühaufsteher´. Ich habe dann nur lachend geantwortet, dass ich das weiß. Natürlich erfindet man einiges dazu bei den einzelnen Figuren.“ Gewohnheiten des Hüttenlebens wie das nächtliche Treffen im Lifthäusl, um wie im Kino zu sitzen und auf die große Leinwand der Nacht zu schauen, sind aber sehr wohl real, wie Waltraud betont. Den Sommer über schreibt sie, denn sie hat ein Ziel. Sie will das Buch bis zum Herbst fertig stellen, bevor die Saison vorüber ist. „Die Hüttencrew verlangte ein Ende“, erklärt Waltraud mit einem Augenzwinkern. Sie vollendet ihren Krimi und dann passiert, was sie sich nie erhofft hatte. Ein Verlag will ihr Buch drucken. Waltraud schwebt auf einer Wolke, bis zum Telefonat mit ihrer Lektorin.
Zwischentief mit Rotwein
„Es hat eineinhalb Stunden gedauert, danach war ich gefühlsmäßig nur noch zehn Zentimeter groß“, meint sie heute lachend über das erste Gespräch mit der Lektorin. „Hunderte Dinge, die ich anders schreiben sollte. Ich habe mir ein Glas Rotwein eingeschenkt und vor mich hingestarrt.“ Die Wolke auf der sie schwebte, war auf Tiefflug. Sie geht das Telefonat noch einmal durch, bleibt an einem Satz der Lektorin hängen. „Was wollen sie denn, das sind Anfängerfehler. Schreiben können sie ja.“ Sie versteift sich auf diesen einen Satz, stellt sich selbst eine Frage: „Was wolltest du: gebauchpinselt werden oder eine ehrliche Kritik?“ Waltraud ist die Antwort auf die Frage augenblicklich klar, sie beginnt, den Krimi zu überarbeiten. Im Herbst 2015 erscheint ihr „Verrat am Wilden Kaiser“ im Buchhandel. Manche der „Vorlagen“ für die Romanfiguren arbeiten heute noch im Stripsenjochhaus. Und auch Waltraud wird in nächster Zeit wieder öfters oben sein. Mit ihrem kleinen, grünen Laptop. Denn der zweite und dritte Teil des Krimis schwirren bereits durch ihren Kopf. Der Liebesroman muss wohl weiter warten.
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY
Text: Adriane Gamper
erschienen in: kufsteinerin - das Magazin
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