Irgendwie erinnert die Geschichte von Sandra Holzer an Aschenputtel. Nur, dass es nicht ein gläserner Pantoffel ist, den sie verliert und der verlorene Schuh nicht einen Traumprinzen, dafür aber eine ungeahnte Leidenschaft in ihr Leben bringt.
In der Ferne sind Dudelsäcke zu hören. Der Regen prasselt seit Stunden rhythmisch auf die Zeltplane. Es riecht nach Feuer. Zwei Ritter stapfen an ihr vorbei. Schemenhaft hebt sich hinter der Wiese die Burg ab. Der Duft von gegrillten Maiskolben lockt sie an. Das kostbare Kleid des Burgfräuleins vor ihr ist bis zu den Knien mit Schlamm bespritzt. Mit jedem Schritt bahnt sich mehr Wasser den Weg in ihre Schuhe. Doch der Klang der Dudelsäcke treibt sie weiter. Hinein in die braune Brühe.
Virus Mittelalterrock
„Ich hätte mir nie gedacht, dass mich das so fasziniert. Noch dazu, weil ich den Fasching überhaupt nicht mag.“ Sandras Augen glänzen. Strahlend erzählt sie von ihren Anfängen vor fünf Jahren. „Ich habe von dem Mittelalterfest in Telfs gelesen und da stand etwas von einer Band, die Mittelalterrock spielt.“ Die Langkampfnerin, die immer schon auf deutschsprachigen Rock geschworen hat, sucht im Internet nach der Band und hört ihr erstes Mittelalterrocklied. „Ebenbild“. „Ich war sofort begeistert.“ Infiziert vom Mittelalterrockvirus besucht sie in den kommenden Monaten Konzerte der Gruppe, um dann von ihrem Auftritt bei MPS in Bad Eibling zu erfahren. MPS steht für Mittelalterliches Phantasie Spektakel. Ein reisendes Mittelalterfestival. Von April bis Oktober gastiert das Festival jedes Wochenende an einem anderen Ort in Deutschland. „Ich bin nur wegen der Gruppe hin, ohne die geringste Ahnung was mich dort erwartet. Wobei, ich hätte es sowieso niemanden geglaubt.“
Aschenputtel im Schlamm
Der Wind hebt den Schottenrock gefährlich weit nach oben. Der Klang der Dudelsäcke wird lauter. Drachenblut steht in großen Lettern auf dem Schild neben ihr. Ihre Augen wandern über die bunte Schar an Gauklern. Der nasse Jeansstoff klebt an ihren Beinen. Sie macht den nächsten Schritt. Bleibt stecken. Der Schlamm quillt über ihren Knöchel. Die Ritter rund um sie drängen weiter. Immer weiter sinkt sie ein. Mit einem Ruck versucht sie sich zu befreien. Die zähe Masse spritz nach oben. Gibt ihren Fuß frei. Nur ihren Fuß. Irgendwo in der braunen, kalten Brühe aus Regenwasser und Erde steckt ihr Schuh. Und in dem Moment weiß sie, das ist ihr Leben.
„Sobald ich mich mittelalterlich
gewande, fühle ich mich
in diese Zeit zurückversetzt.“
Jeans aus, Mieder an
Bei ihrem ersten Event im September 2012 ist Sandra noch mit Jeans, Turnschuhen und Shirt unterwegs. Sie ist der Exot unter Rittern, Burgfräulein, Prinzessinnen, Elfen, Orks und Piraten. Auf den Festivals sind mehr als 80 Prozent gewandet, wie es Sandra ausdrückt. „Jeder kann hier seinen Spleen ausleben. Der normale Alltag ist für viele sicher mehr Schauspiel als ein Mittelalterfestival.“ Auch für Sandra, die sonst nur Hosen trägt und sich im Fasching nie verkleiden würde, gehört ihr mittelalterlicher Look inzwischen dazu. Sie liebt ihre Mieder, trotz der Begleiterscheinungen. Und vor allem weil jedes Mal das Gleiche passiert, wenn sie eines ihrer Mieder anlegt.
Verrückte Vögel
Fackeln leuchten den Weg von einer Bühne zur nächsten. Feuerschalen werfen mit ihrem flackernden Licht Schatten in die Nacht. Wer müde ist, legt sich in einen der Heuhaufen und genießt das bunte Treiben. Worin die Faszination für das Mittelalter und diese Feste besteht, ist für Sandra kaum zu beschreiben. „Es ist einfach alles. Diese kitschige, romantische Atmosphäre. Dieses ganz eigene Gefühl des Zusammengenhörens.“ Es ist jedes Mal ein kleiner Ausstieg aus dem Alltag für Sandra. Dass Bekannte und Freunde sie für leicht verrückt halten, stört sie nicht. „Ich habe damit kein Problem und ganz ehrlich, die Leute, die ich auf den Festivals kennenlerne, haben schon einen kleinen, liebenswerten Vogel, aber gerade das mag ich.“ Genauso wie sie das Drachenblut liebt.
Nonnentröster oder Furzbrot
Der Geruch nach kulinarischen Köstlichkeiten mit ihren besonderen Namen gehört bei den mittelalterlichen Spektakeln dazu wie die Schwertkämpfe. Gegrillte Maiskolben werden zu Nonnentröstern, das Furzbrot macht seinem Namen alle Ehre. Getrunken wird bevorzugt Met in allen möglichen Geschmacksrichtungen und so wie es sich für das Mittelalter gehört aus Hörnern. Sandras Lieblingsgetränk, Drachenblut, ein Kirschmet.
„Die Wintermonate sind für mich
richtig schlimm, weil in dieser Zeit
keine Festivals stattfinden. Da bin ich direkt auf Entzug.“
Mieder und Gugle
Der lange Rock schwingt bei jedem Schritt. Die Schnürung der schwarzen Stiefel wird sichtbar. Die trompetenförmigen Ärmel der weißen Bluse schützen kaum vor Kälte. Sie streift die Gugle über den Schultern glatt, legt den Stoff über ihren Kopf. Unsanft drücken die Stäbe des Mieders. Sandra ist im Mittelalter angekommen. „Mit dem Atmen ist das so eine Sache, aber das Mieder muss eng sitzen, es sollen ja auch bestimmte Stellen damit betont werden.“ Da ist es wieder dieses begeisterte Glitzern in Sandras Augen. Mit Mieder selbst Autofahren ist nicht das wahre. „Aber das nehme ich gerne in kauf. Diese Wochenende sind nicht so häufig und wenn du dabei bist, willst du dich richtig hinein fühlen in dieses Leben.“ Und eines passiert spätestens beim Anlegen des Mieders. „Und du fühlst dich anders. Allein durch die aufrechte Haltung, die du durch das Mieder automatisch bekommst, bist du präsenter. Mit einem sehnsüchtigen Blick holt Sandra ihr Handy aus der Tasche. In bunten Farben scheinen Countdowns auf. Die Zeiten bis zu den kommenden Mittelalterspektakeln. Ganz oben steht die Festung Kufstein. Das Eröffnungsfest ihrer heurigen Mittelaltersaison. Und dort bekommt sie endlich wieder ihren Barbarenspieß, den es nur auf der Festung gibt, dann, wenn die weiten Röcke schwingen und Dudelsäcke dem Mittelalterrock seine eigene Note geben.
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY
Text: Adriane Gamper
erschienen in: kufsteinerin - das Magazin
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