Ein Skistock als Ratgeber

 

 

 

25 Jahre nach ihrem einzigen WM-Erfolg blickt Ex-Skirennläuferin Ingrid Salvenmoser zurück

 

 

Als der Skistecken fliegt, spürt sie, dass es vorbei ist. Es ist der 20. Jänner 2001. Ein perfekter Tag. Europacuprennen in Elbigen Alp. Slalomspezialistin Ingrid Salvenmoser hat sich allein auf die Saison vorbereitet, zum 2. Mal in ihrer Karriere. Doch dieses Mal ist alles anders.

 

 

 

Geradeaus

Ingrid Salvenmoser wird geboren, als der Lift in Scheffau errichtet wird. Gerade einmal drei Minuten braucht sie zu Fuß zum Skigebiet. In jeder freien Minute ist sie am Berg mit ihren Skiern unterwegs. Ihr Onkel ist Trainer beim Skiklub. Dass sie Mitglied beim Skiklub wird, ist damit „irgendwie selbstverständlich“. Mit gerade einmal elf Jahren kommt sie in den Tiroler Landesverband, fährt im Tiroler Landeskader. Fünf Jahre später wechselt sie zum ÖSV. Doch so geradlinig wie ihr Weg zum ÖSV war, so uneben werden ihre kommenden siebzehn Jahre.

 

Einmal Bronze und nie wieder

Auf der Homepage ihrer Skischule steht zu ihren Qualifikationen: mehrfache Weltmeisterschafts- und Olympiateilnehmerin. Teilnehmerin. Ein Wort, das ihre 17jährige ÖSV-Karriere prägt. Sie wird Österreichische Staatsmeisterin im Riesenslalom, beginnt Slalom zu fahren und etabliert sich als Slalomspezialistin. Erste Erfolge zeichnen sich ab. Dann kommt die WM in Saalbach- Hinterglemm. „Diese WM war ein großes Ziel von mir. Der Hang war perfekt, das Wetter grandios und irgendwie war mir vorher schon klar, dass ich es auf das Podest schaffe.“ Ingrid Salvenmoser fährt auf den 3. Platz; ihre erste und einzige WM-Medaille. „Damals habe ich gedacht jetzt geht es nach ganz oben.“ Doch mit Beginn der nächsten Saison steht ihre Welt plötzlich Kopf.

 

" Ich habe viel mitgenommen aus meiner Zeit als Rennläuferin. Die 17 Jahre haben mein Leben geprägt."

 

 

17 Jahre Motivation

Durch das Fenster fällt das Sonnenlicht. Auf der Piste neben der Schischule liegt frischer Schnee. Perfekte Bedingungen zum Skifahren. Doch einfach so raus auf die Piste und ein wenig Genussskifahren, das lässt Ingrids Kopf kaum zu, wie sie schmunzelnd erzählt. „Diese Entspannung habe ich nicht, dass ich sage ich gehe Ski fahren, weil der Schnee und das Wetter perfekt sind. Da fehlt mir das Ziel.“ Ziele sind ihr Antrieb, der Treibstoff für ihre Motivation. Auch dafür, dass sie 17 Jahre ohne Sieg im Alpinen Weltcup durchhält. „Wenn du nicht ganz vorne bist, hast du immer noch ein Ziel vor Augen. Der 1. Platz war ja immer in Reichweite.“ Ingrid ist vorne mit dabei, nur nie ganz vorne. Sie trainiert viel. Denkt, dass jetzt die Resultate stabiler im vorderen Feld sein werden. Doch im Dezember, kurz vor Beginn der folgenden Saison, kommt Ingrid Salvenmosers Trainer bei einem Autounfall ums Leben. 

 

Tief, tiefer, aus

„Plötzlich waren einige Mosaiksteinchen durcheinandergewirbelt, die passen sollten, um zu gewinnen.“ Drei Jahre nach ihrer Bronzemedaille ist sie draußen. 1994 wird zu ihrem Tiefpunkt. „Das Material war neu und ungewohnt. Meine Vorbereitung war nicht sehr gut. Ich war nach der Saison plötzlich aus den besten dreißig gerutscht. Der Rausschmiss aus dem Team hätte bei vielen vermutlich zu Selbstzweifeln geführt, für Ingrid ist es einfach nur ein momentaner Zustand. „Ich habe mir immer gedacht, warum soll ich es nicht wieder zurück ins Team schaffen.“ Sie fährt im Sommer nach Neuseeland, um sich auf eigene Faust vorzubereiten. „Ich hatte ein klares Ziel, das hat mich motiviert.“ Und sie kommt zurück. Im Herbst wird sie wieder in das Team aufgenommen. Fährt wieder vorne mit, bis sich am 20. Jänner 2001 von einer Sekunde auf die andere ihr Leben komplett ändert.

 

 

 

Wenn ein Skistecken über dein Leben entscheidet

Ingrids Stimme ist plötzlich leiser. „Ich habe nicht gewusst, dass es an diesem Tag so weit ist.“ Sie macht eine Pause. „In dieser Saison wurde ich nicht mehr so oft für ein Rennen aufgestellt. Die psychologische Unterstützung der Trainer war irgendwie weg. Vielleicht waren sie einfach skeptisch, weil ich mich wieder selbst vorbereitet hatte.“ Sie startet beim Europacuprennen in Elbigen Alp. Beim 3. Tor passiert es, Ingrid Salvenmoser verliert ihren Skistecken. Mit einem großen Rückstand beendet sie den ersten Durchgang. Sie kämpft. Fährt Laufbestzeit im zweiten Durchgang. Und dann kommt dieser eine Satz von ihrem Trainer. „Das ist zu wenig.“ „Als der Trainer trotz meiner Bestzeit das zu mir sagte, wusste ich, dass ich nicht mehr dazu gehöre und der verlorene Skistecken das Zeichen war, das Ende nach 17 Jahren endgültig zu akzeptieren. Mir wurde klar, dass ich bei der WM in St. Anton nicht mehr mitfahren werde. Mein Ziel löste sich in Luft auf und damit meine Motivation.“ Von einer Sekunde auf die andere beendet sie ihre

Karriere. „Nachdem ich mich entschieden hatte, habe ich nicht mehr darüber nachgedacht.“ Und dafür war auch keine Zeit und kein Raum mehr, denn der Zufall und ein anderes Leben klopften an.

 

Hallo Bäuerin

Zwei Tage, nachdem Ingrid ihre Karriere beendet, unterschreibt sie gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten den Vorvertrag für den Kauf eines Bauernhauses. „Genau vier Tage vor meinem letzten Rennen haben wir zufällig diesen alten Hof oberhalb von Söll gesehen, der zum Verkauf stand. Mein Lebensgefährte hatte immer schon diesen Traum irgendwo oben zu wohnen. Und plötzlich war alles klar.“ Ingrid hat ein neues Ziel. In den kommenden elf Monaten renovieren sie den Hof. Anstelle im Fitnessstudio zu trainieren, schleppt sie Holz aus dem Wald. Dieser extreme Naturbezug erfüllt sie mit neuem Leben. Sie drückt die Schulbank, um die notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen, um den Hof kaufen zu können. Sie betreiben gemeinsam die Landwirtschaft, bis einmal mehr ein einziger Satz Ingrids Leben in neue Bahnen lenkt.

 

 

"Meine aktive Zeit ist lange her.

Ich denke nicht mehr daran. Das ist eingeordnet, aber jederzeit abrufbar, denn es war eine wundervolle Zeit."

 

Ski heil die zweite

Es ist im Frühjahr 2002 als Ingrids Vater ihr erzählt, dass die Gondelbahn in Scheffau und das Gebäude daneben neu gebaut werden. „Und plötzlich war da diese Idee von der Skischule. Ich ging einfach hin und fragte, ob denn Platz für eine Schischule wäre.“ Und es war Platz. „Wie es sich entwickelt, weiß vorher sowieso niemand. Für mich war klar, ich probiere es.“ Und wieder sind es ihre Ziele, die sie vorantreiben. 2003 eröffnet sie ihre Skischule neben der Talstation der Scheffauer Bergbahnen beim Waldhof. Im gleichen Jahr wird ihr Sohn geboren und dann ist da auch noch ihr Hof.

 

Der Sieg im Nachhinein

Dass alles funktioniert, hat Ingrid ihrer Rennfahrerzeit zu verdanken. Ihr Erfolgszutaten sind heute noch die gleichen wie damals: „Täglich sorgfältig die Hausaufgaben machen, auf das Ziel fokussiert bleiben und dann loslassen und Vertrauen haben. Viele Mosaiksteine müssen geduldig und richtig zusammen gefügt werden. Das ist es, was ich in meiner Zeit im Rennzirkus gelernt habe. Ohne Fleiß kein Preis.“ Ihren Hof hat Ingrid inzwischen vermietet, allerdings kümmert sie sich immer noch mit großer Leidenschaft persönlich darum. Bis zum vergangen Sommer standen noch unzählige Arbeiten an, heuer soll es endlich etwas ruhiger werden. Wobei sie lachend meint: „Ich habe schon wieder ein neues Ziel, abwarten was daraus wird.“

 

erschienen in: Kufsteinerin - das Magazin

Foto: VANMEY Photography

Text: Adriane Gamper

 

 

 

 

 

 

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Moderatorin Adriane Gamper, Foto VANMEY PHOTOGRAPHIE
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHIE

 

 

 

 

 


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