Wenn die Leidenschaft dich ans Ende der Welt und an deine Grenzen bringt
Der professionelle Freeskier Matthias Haunholder liebt das Abenteuer und Skifahren. Immer wieder bricht er zu atemberaubenden Touren auf, um dort Ski zu fahren, wo sonst keiner fährt. Ein Vulkan lockt ihn zusammen mit vier anderen Extremsportlern nach Onekotan, es wird das intensivste Abenteuer ihres Lebens.
Die Zeltwände blähen sich auf, knattern im Wind. Im Zelt herrscht gelöste Stimmung, das erste Mal durchatmen seit sie Österreich verlassen haben. Das russische Schiff wartet bereits vor der Küste. Eine letzte kalte Nacht auf der eisigen, trostlosen russischen Insel abseits von jeglicher Zivilisation. Die fünf Männer lassen die letzten Tage Revue passieren, genießen ihren Triumph. Und vor allem essen sie. Sie essen alles, was noch im Basislager zu finden ist, denn morgen geht es zurück, weg von Onekotan. Alles läuft endlich perfekt und nach Plan, bis sich der Kapitän meldet.
Abenteurer
Wer Matthias Haunholder trifft, dem fällt wohl als erstes das Strahlen in seinen Augen auf, wenn er von seiner Leidenschaft erzählt, dem Schifahren. Kein „normales“ Skifahren. Der professionelle Freeskier fährt dort, wo keiner jemals zuvor gefahren ist. „Je schwieriger das Vorhaben ist, umso mehr reizt es mich. Ich suche das Abenteuer, die Herausforderung. Das Extreme allein zählt allerdings nicht. Die Landschaft muss mich beeindrucken. Das, in Verbindung mit Skifahren, ist mein Leben.“ Was er bei all seinen Abenteuern vor allem gelernt hat: die Natur ist schwer planbar, allen voran auf Onekotan.
Verlassen
Sie beginnen ihre Zelte abzubauen, ihr Equipment zum Strand zu bringen. Der eisige Wind peitscht ihnen wie in den vergangenen Tagen unaufhörlich ins Gesicht. Sie warten auf das Beiboot des russischen Schiffes, doch es läutet nur das Satellitentelefon. Die Aussage des Kapitäns ist ernüchternd, die Wellen sind zu hoch, die Fahrt zur Insel zu gefährlich für das Beiboot. Den ganzen Tag wird die Ankunft des Beibootes verschoben. Sie errichten notdürftig ein Zeltlager für die Nacht. Sie haben nichts mehr zu essen. Und dann das. Eine Schlechtwetterfront für die nächsten zehn Tage mit Stürmen, wie sie sie auf der Inseln noch nicht erlebt haben, wird vorhergesagt. Schließlich der Anruf des Kapitäns: Er muss zurück fahren, ohne sie.
„In solchen Extremsituationen gibt es, selbst wenn es ganz schlimm wird, nur kleinere Diskussionen. Du musst miteinander auskommen, das weiß jeder, sonst funktioniert so ein Vorhaben nicht.“
Der Anfang
Neuseeland. Im Jahr 2012. Matthias ist auf einer seiner Touren. Einer seiner Kollegen durchsucht Google Earth, immer auf der Suche nach besonderen Plätzen zum Skifahren. Und dann sehen sie sie. 20 Kilometer breit, 40 Kilometer lang. Nichts als Schnee und unwegsames Gelände. Was ihre Aufmerksamkeit allerdings eigentlich erregt, ist ein schneebedeckter Vulkan, der aus einem Kratersee herausragt. Onekotan ist die größte unbewohnte Insel der zu Russland gehörenden Kurilengruppe und liegt rund 9000 Kilometer von Österreich entfernt im Nirgendwo zwischen Kamchatka und Hokkaido. Einer der stürmischsten und kältesten Meeresbereiche der Welt. Die Insel wird zum Ziel der Sehnsucht, lässt Matthias nicht mehr los. Gemeinsam mit Matthias Mayr, mit dem er schon seit Jahren unterwegs ist, dem Red Bull Athleten Phil Meier, dem Fotografen Jonas Blum und dem Kameramann Simon Thussbas beginnt er, das Abenteuer Onekotan zu planen. Ihr Ziel: von Petropawlowskaus mit dem Boot auf die 30 Schiffsstunden entfernte Insel übersetzen, um dort als Erste den Vulkan mit Skiern hinabzufahren und einen Film darüber zu drehen. Im März 2015 brechen sie nach Russland auf, um ihr Abenteuer und ihre Ziele auf Onekotan zu realisieren.
Neue Gefahren
Das Meer hat gerade einmal ein Grad. Nur ein einziger Kapitän ist bereit, sie zu der Insel zu bringen. Es ist eine Mindestlänge des Schiffs notwendig, um überhaupt die Erlaubnis zu bekommen aus dem Hafen auszulaufen. "Erst an dem Tag, an dem wir ablegen wollten, ist mir bewusst geworden, dass wir nun auf die Erfahrungen des Kapitäns angewiesen sind“ Es ist der 1. April. Ein Fischerboot mit 150 Mann Besatzung und 80 Tonnen Fisch im Schlepptau wird am offenen Meer in der Nähe Kamchatkas von Treibeis aufgeschlitzt. Innerhalb von 15 Minuten sinkt das Schiff, 60 Menschen ertrinken. „In dem Moment haben wir bemerkt was es bedeutet, dort in See zu stechen“ Trotzdem gibt es für sie kein zurück. Am 2. April laufen sie von Petropawlowskaus. 30 Stunden auf dem Pazifik mit Wellen, die über das Schiff schwappen und Schneestürmen. Ein kleiner Vorgeschmack auf Onekotan.
18 Tage Einsamkeit
Der Wind peitscht den Schnee über die gebirgige Insel. Die Stürme übertönen das Rauschen der Wellen. Ab und an sind streitende Füchse zu hören, die einzigen größeren Säugetiere, die auf dem Eiland vorkommen. Die ganzen 18 Tage, die sie auf der Insel verbringen, ist kein Lebenszeichen von anderen Menschen zu sehen. Kein Schiff, nicht einmal ein Kondensstreifen eines Flugzeuges. Sie sind allein. „Es ist ein eigenes Gefühl. Du machst alles nur, um zu leben und dein Ziel zu erreichen.“ Die Zusammenarbeit zwischen den Männern funktioniert fast telepathisch, sie alle sind Extremsituationen gewohnt. Auf Onekotan notwendig wie sich bereits wenige Stunden nach ihrer Ankunft zeigt.
Blaue Blitze
Der Schneesturm in der ersten Nacht zerbricht die Zeltstangen ihres großen Zeltes, das als Küche, Wohnzimmer und Schlafraum dient. Mehr als 14 Stunden lang bauen sie ihr Basislager ab, suchen eine windgeschützte Stelle. Sie improvisieren und errichten das Zelt wieder mit Treibholz. Die Schneestürme sollten ihre größten Gegner werden. Bei Gegenwind von rund 130 km/h kämpfen sie sich vom Basislager aus in Richtung Vulkan. Die Umgebung präsentiert sich trostlos. Vereinzelte Sträucher, die ihre kahlen Äste aus der Schneedecke recken, Nebel. Einziger Farbpunkt, das rote Fell der Füchse, die immer wieder auftauchen. Die Fünf gehen im Gänsemarsch, einer im Windschatten des anderen, stundenlang. Die Erosionsgräben machen ein Vorwärtskommen schwierig. „Du unterhältst dich nicht mehr, weil es zu laut ist durch den Wind. Du gehst vor dich hin, schaust immer nach unten auf deine Ski. Ich habe blaue Ski. Irgendwann hatte sich das Blau in meine Augen gebrannt, egal wo ich hinschaute, ich habe blaue Blitze gesehen.“ Sie errichten ein zweites Lager in der Nähe des Kratersees. Warten Stürme ab, die Tage vergehen bis es endlich so weit ist und sie am Rand des Kratersees stehen; und verzweifeln.
Ein Schlauchboot
„Wenn du zum Vulkan gehst, siehst du den See, der in der Tiefe liegt nicht. Alle haben uns immer gesagt, ´der ist zu 100% zugefroren, ihr braucht kein Booté.“ Doch als sie zu dem 400 Meter tiefer liegenden See nach unten blicken, sehen sie nur Wasser. „Wir waren alle körperlich fertig und verzweifelt. Es schien unmöglich, zum Vulkan in der Mitte des Sees zu kommen.“ Doch die Extremsportler werden getrieben von ihrem Ziel. Sie beginnen, am Kraterrand, der einen Umfang von etwa 24 Kilometer hat, den See zu umrunden und finden an der schmalsten Stelle ein Eisschollenfeld. Ein Schlauchboot, mit einer Tragkraft von 140kg, das Matthias aus einem inneren Impuls heraus vor ihrer Abfahrt in Petropawlowsk gekauft hat, wird ihr Rettungsanker. Angebunden an das Boot, in dem ihr Filmequipment liegt, mit Lawinenairbags ausgestattet, um im Fall des Einsinkens an der Wasseroberfläche zu bleiben, wagen sie auf ihren Skiern den Weg über die verkeilten Eisschollen zum Vulkan.
„Die ganze Zeit, die wir unterwegs waren, habe ich unser Unterfangen nicht als besonders gefährlich empfunden. Wenn ich auf meinen Skiern bin, fühle ich mich sicher. Erst zum Schluss, da wurde es bedrohlich.“
Der 13. Tag
„Für mich war immer klar, ich mache das, weil ich es gerne tue und es eine Erfüllung ist. Diese Abenteuer sind es, die mich ausmachen und letztlich ist es ein Privileg, dass ich das machen kann.“ Am 13. Tag gipfelt das Privileg in diesen einen magischen Moment. Sie stehen am Gipfel des Vulkans. „Es ist ein besonderes Gefühl, wenn du dein Ziel erreicht hast. Ein irres Glücksgefühl den Vulkan hinunter zu fahren, auch, wenn die Schneebedingungen nicht perfekt waren.“
Der Sturm
„Aber es ist wie bei der Besteigung von hohen schwierigen Bergen, erst wenn du wieder im sicheren Hafen bist, hast du den Berg bezwungen.“ Und genau an diese Bergsteigerweisheit denkt Matthias einige Tage später zurück im Basislager, als sie das russische Schiff wegen der Sturmwarnung abdrehen sehen. Sie hatten ihren Triumph am Vulkan genossen, hatten innerlich eigentlich bereits abgeschlossen mit dem Trip und waren plötzlich zurückgelassen auf der Insel. „Wir hatten kein Essen mehr und am nächsten Tag sollte der Sturm kommen, der laut Vorhersage an die zehn Tage dauern sollte.“ Aus dem Ziel den Vulkan als Erste mit Skiern zu befahren, wird das Ziel wieder heil zurück zu kommen. Ihre einzige Hoffnung Matthias Freund Roland, der zufällig in Petropawlowsk ist.
Kampf gegen die Zeit
Roland organisiert einen Hubschrauber. Doch die Tanks haben zu wenig Fassungsvermögen, um zu der Insel und wieder zurück zu fliegen. Ein Kampf gegen die Zeit beginnt. Innerhalb weniger Stunden lässt Roland zusätzliche Tanks in den Hubschrauber "Mi8" einbauen, während auf Onekotan der Wind immer mehr zunimmt. Für die Extremsportler eine ungewohnte Situation, alles was sie tun können ist warten und hoffen. „In dem Moment funktionierst du nur mehr.“ Doch endlich läuft alles nach Plan. Stunden später ist auf der Insel das erlösende Geräusch der Rotorblätter zu hören. Das stundenlange Bangen hat ein Ende. Die Zeit der Ungewissheit ist vorbei. Gerade noch rechtzeitig, die Sturmfront ist zu der Zeit nur noch wenige Stunden entfernt. „Der Hubschrauber hätte nicht viel später kommen dürfen. Wir hatten großes Glück.“ Doch selbst im Hubschrauber ist die Anspannung der letzten Stunden noch zu spüren und in ihren Gesichtern zu lesen. „Anstelle von Freude hat sich erst einmal Erschöpfung breit gemacht. In dem Moment, in dem der Hubschrauber abhob, ist uns langsam bewusst geworden, wie kritisch diese Situation war.“
Und täglich grüßt das Murmeltier
Nach 31 Tagen Abenteuer sitzen sie wieder im Flieger zurück. „Das war der Moment, in dem wir das erste Mal etwas aufgeatmet haben, auch wenn die Anspannung der letzten Tage immer noch überwogen hat.“ Doch trotz der gerade erlebten Gefahr keimt die Sehnsucht nach Abenteuern bereits wieder auf. Als sie Nordsibirien überfliegen, blicken sie aus dem Fenster. Unter ihnen eine wunderschöne Gebirgskette überzogen mit Schnee, ganz in der Nähe des kältesten bewohnten Ortes der Welt. Ein Moment, eine Sehnsucht, ihr nächstes Ziel.
Foto: Jonas Blum
Text: Adriane Gamper
erschienen in: Kufsteinerin - das Magazin
DANKE für´s Teilen ;-)
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